Jost Schneider: Einführung in die moderne Literaturwissenschaft.
Welche Texte literarische Texte sind, ist nun allerdings nicht in zwei
Worten zu sagen. Hier wird die folgende Definition zugrunde gelegt, deren
wissenschaftlicher Status und deren einzelne Elemente anschlieend
ausführlich kommentiert werden: Ein literarischer Text ist
eine Sequenz von Laut-oder Schriftzeichen, die fixiert und/oder
sprachkünstlerisch gestaltet und/oder ihrem Inhalt nach fiktional ist.
Für die Abgrenzung literarischer von nicht-literarischen Texten werden üblicherweise drei Erkennungsmerkmale angeführt: Fiktionalität, künstlerische Sprachverwendung und Fixierung.
1. Merkmal:Künstlerische Sprachverwendung
Gemeint ist hiermit die Annahme, da literarische Texte im
Unterschied zu nicht-literarischen einen spezifischen, an besonderem
Wohlklang, unkonventioneller Wortwahl, freiem Satzbau oder anderen Elementen
festzumachenden Stil aufweisen.
Grundsätzlich können wir festhalten, da hierbei meistens auf
die besondere sprachgestalterische Komplexität und/oder auf die stilistische
Neuartigkeit eines Textes rekurriert wird.
Folgende, weiter unten im einzelnen erläuterte Erkennungsmerkmale werden in vielen Fällen genannt:
Häufung und bewute Verwendung rhetorischer Kunstmittel
(,geschmückte Sprache')
Abweichung von der Alltags-oder Standardsprache (Sprechen nach eigenen, neugeschaffenen Regeln der Wortbildung, der Interpunktion, der Satzgliedstellung etc.)
Vernachlässigung oder Einschränkung der Kommunikationsfunktion von Sprache (Konzentration auf Klangwirkung oder Schriftbild, Unverständlichkeit bzw. Schwerverständlichkeit durch erlesenes Vokabular oder verwickelte Syntax, Akohärenz etc.)
(gehäufte) Verwendung angeblich literaturspezifischer Ausdrucksmittel (Metaphern, Reime, episches Präteritum etc.)
2. Merkmal:Fiktionalität
Hierbei wird unterstellt, da der Inhalt literarischer Texte (nur)
erfunden oder erdichtet ist. Als Indikatoren für das Vorliegen von
Fiktionalität können ein hohes Ma
an Innenweltdarstellung
sowie eine besondere Detailfülle in der Objektbeschreibung gelten. Im
Gegensatz zu den fiktionalen Texten, denen wir besonders in der
erzählenden Dichtung begegnen, nennen wir die Sachtexte expositorisch
(lat. Exponere:darlegen), weil sie einen Sachverhalt schildern und
erläutern. Bei der Erarbeitung von Gesichtspunkten zur Unterscheidung
von fiktionalen und nichtfiktionalen Texten darf man doch die Art der
Vermittlung, die Rolle des Autors bzw. des Lesers/ Hörers nicht au
er Acht lassen. Schon vor einer genauen Lektüre wird der Leser durch
bestimmte Hinweise auf den fiktionalen oder expositorischen Charakter eines
Textes aufmerksam gemacht. Dazu gehören Umfang und Aufmachung des
Buches, der Titel eines Werkes, der Name des Autors und Bezeichnung wie
,,Roman``, ,,Novelle``, oder Märchen.
3. Merkmal:Fixierung
Für die Fixierung von Sequenzen sprachlicher Zeichen, die in mündlicher Form als Laute oder in schriftlicher Form als Buchstaben und Ideogramme auftreten, können hierbei folgende Bedingungen aufgestellt werden:
- (relative) Dauerhaftigkeit (z.B. kein ,in den Wind gesprochenes' und sofort vergessenes Spontangedicht)
-(relative) Öffentlichkeit, d.h. Erreichbarkeit und Wahrnehmbarkeit
für potentielle Rezipienten ( z.B. keine Formulierung, die mir blo ,im Kopf herum geht'). ( S.9 ff.)